Ziemlich beste Freundinnen
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Maria Walliser ist seit dem Jahr 2000 Präsidentin der Stiftung Folsäure Schweiz. Sie hat durch ihre Tochter Siri einen ganz konkreten Bezug zum Thema Folsäure. Faktor F traf die beiden 2020 mit 20 Fragen zum Jubiläums-Interview.
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Maria Walliser, wie kam es, dass du vor 20 Jahren Botschafterin und Präsidentin der Stiftung Folsäure Schweiz wurdest?
Siri war damals 9 und Noemi 4 Jahre alt. Zudem endete mein Job als Athletenvertreterin für die Olympia-Kandidatur «Sion 2006». Ich hatte also wieder gewisse Freiräume und genau dann kam die Anfrage, als Botschafterin das Vitamin Folsäure in der Schweiz bekannter zu machen.
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Was hat dich dazu bewogen, gerade dieses Engagement anzunehmen?
Es passte einfach perfekt. Ich wollte etwas tun, das sinnvoll und glaubwürdig ist und einen Bezug zur Schweiz hat. Alle diese Punkte deckt der Job ab und als Mutter einer Tochter mit «Spina bifida» war und ist dieses Engagement für mich natürlich auch eine Herzensangelegenheit.
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Die Stiftung hat in den 20 Jahren viel erreicht. Wie fällt deine ganz persönliche Bilanz aus?
Sehr positiv. Es ist schön zu sehen, dass immer neue Partner hinzukommen und das Vitamin Folsäure von Jahr zu Jahr bekannter wird. Besonders am Herzen liegt mir das Engagement für «Spina bifida»-Betroffene in Form von Lagern, Familien-Wochenenden, Schneesport-Tagen oder auch durch die Finanzierung von Therapie- und Sportgeräten. So sind in den vergangenen 20 Jahren durch viele schöne Begegnungen auch neue Freundschaften entstanden, die ich auf keinen Fall missen möchte.
«Es ging von Anfang an um Folsäure und nicht um Maria Walliser.» Maria Walliser
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Wie sieht dein Engagement konkret aus?
Ich bin sehr oft eine Türöffnerin, da ich viele Leute kenne und über mein Netzwerk Kontakte vermitteln und anbahnen kann. Zudem vertrete ich die Stiftung als Botschafterin nach aussen und engagiere mich im Fundraising und bei den Projekten der Stiftung.
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Deine Zeit als erfolgreiche Skirennfahrerin liegt mittlerweile über 30 Jahre zurück. Wer ist heute eigentlich bekannter: Du oder die Stiftung?
Zu Beginn haben mein Name und das mediale Interesse sicherlich geholfen, die Stiftung bekannter zu machen. Heute ist es wohl eher umgekehrt und die Stiftung trägt dazu bei, dass ich ein bisschen weniger schnell in Vergessenheit gerate. Aber es ging von Anfang an um Folsäure und nicht um Maria Walliser. Je bekannter die Stiftung und das Lebensvitamin sind, desto besser.
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Du bist 1990 vom Skirennsport zurückgetreten, 1991 kam deine Tochter Siri mit einem offenen Rücken zur Welt. Wie hast du diese Zeit erlebt?
Das war turbulent, anspruchsvoll und emotional. Die Karriere nach der Karriere war eigentlich schon aufgegleist mit diversen PR-Jobs und Werbeverträgen. Die «Spina bifida»-Diagnose hat dann alles auf den Kopf gestellt und ich habe mich ganz meiner Aufgabe als Mutter gewidmet. Soziale und zwischenmenschliche Aspekte wurden dadurch viel wichtiger und Siri hat mir neue Wege fernab vom Scheinwerferlicht eröffnet.
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Wie hast du die Medien in dieser Zeit erlebt?
Ich hatte schon während meiner Zeit als Skirennfahrerin einen guten Draht zu den Medien. Nachdem wir die Diagnose öffentlich gemacht haben, sind wir als Familie von den Medien lange Zeit in Ruhe gelassen worden. Diese Zurückhaltung rechne ich den Medien heute noch hoch an.
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Im Spitzensport geht es darum, stets positiv zu bleiben, Dinge zu analysieren, aber auch zu akzeptieren. Haben dir diese Erfahrungen geholfen?
Ja, denn vieles spielte sich auch in der neuen Situation im mentalen Bereich ab. Ich hatte als Skirennfahrerin gelernt, mit Stresssituationen umzugehen und ging schon damals durch emotionale Wellentäler. Diese Erfahrungen waren sicherlich hilfreich.
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Siri Anesini, wie hast du deine Kindheit erlebt?
Durchaus positiv. Wir haben viel unternommen und meine Eltern haben mich überallhin mitgenommen. Der Fokus lag nie auf der Einschränkung, sondern immer auf dem, was möglich ist, nach dem Motto «Das machen wir, es geht dann schon irgendwie». Diese Haltung hat mich sicherlich geprägt.
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Was für ein Verhältnis hattest du als Kind zu deiner Behinderung und wie hat sich dieses entwickelt?
Ich habe das nicht unbedingt als Prozess erlebt. Die Behinderung war von Anfang an da und deshalb etwas ganz Selbstverständliches. Ich habe mich als normal empfunden, so wie ich bin. Ob auf vier Rädchen oder auf zwei Beinen: Für mein Selbstbild war das nicht so wichtig. Schwieriger wurde es dann in der Schule – als einziges Kind im Rollstuhl. Da habe ich spätestens ab der dritten Klasse sehr stark zu spüren bekommen, dass ich anders bin. Das war keine schöne Erfahrung und ich habe meine Primarschulzeit nicht in guter Erinnerung. Im Gymi wurde es dann besser.
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Du bist schon früh selbständig deinen Weg gegangen, hast 2017 dein Jus-Studium abgeschlossen und bist ein Vorzeigebeispiel für eine junge Frau, die sich nicht behindern lässt. Wie gefällt dir diese Rolle?
Mit dieser Rolle fühl ich mich durchaus wohl. Mühe habe ich nur, wenn ganz alltägliche Dinge als etwas Besonderes dargestellt werden à la: «Ist das schön, dass du in den Ausgang gehst» etc. Aber wenn ich jemand sein darf, an der sich andere ein Bespiel nehmen, find ich das sehr schön.
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Pflegst du Kontakte zu anderen «Spina bifida»-Betroffenen?
Ja, es gab regelmässige Kontakte zu einer befreundeten Familie mit einem fünf Monate jüngeren Mädchen und ich habe auch an Lagern teilgenommen, die meine Mutter organisiert hat. Grundsätzlich bin ich in meinem Alltag aber unter lauter Nicht-Behinderten. Für eine Freundschaft sind ohnehin andere Kriterien entscheidend. Menschen, die zwei Meter gross sind, verstehen sich ja auch nicht automatisch blendend, nur weil sie zufällig dieses Merkmal miteinander teilen.
«Ich möchte nicht als Sonderfall behandelt werden.» Siri Anesini
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Was ist das Mühsamste an einem Leben im Rollstuhl?
Man braucht für alles mehr Zeit: sich anziehen, auf die Toilette gehen, duschen etc. Da wünschte ich mir als eher ungeduldiger Mensch manchmal schon, dass es schneller ginge.
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Bist du im Alltag aufgrund deiner Behinderung oft mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert?
Nein, das ist kein grosses Thema. Man wird zum Teil durch bauliche und andere Gegebenheiten behindert, aber ansonsten überwiegen die positiven Erfahrungen. Bei den seltenen negativen Erlebnissen ist die Ursache zudem wohl eher eine Überforderung mit der Situation und nicht böser Wille.
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Was würdest du dir von den Nicht-Behinderten im täglichen Umgang wünschen?
Eine Normalisierung im Umgang. Schön wäre, wenn jede Form von Behinderung als ganz normale Gegebenheit akzeptiert werden würde und man möglichst unkompliziert und lösungsorientiert gemeinsam den Alltag bewältigen könnte. Ich möchte nicht als Sonderfall behandelt werden, sondern als ganz normaler Mensch, der halt aufgrund seines Handicaps das eine oder andere nicht so gut kann.
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Seit 2016 wohnst du wie deine Eltern in Malans. Wie oft seht ihr euch und wie sieht ein typisches Mutter-Tochter-Treffen aus?
Wir sehen uns heute noch etwa zweimal pro Woche, oft zum Essen, ab und zu für einen Taxidienst oder auch spontan. Aber es ist natürlich nicht mehr wie früher. Ich bin jetzt 28, arbeite hundert Prozent, bin verheiratet, wir haben eine eigene Wohnung, das ist ein ganz anderes Verhältnis als noch vor zehn Jahren.
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Die Abnabelung ist für Eltern und Kinder eine Herausforderung. Wie war das bei euch?
Maria: Wenn man so eng mit einem Kind verbunden und für sein Wohl verantwortlich ist, muss man sich erst daran gewöhnen, weniger gebraucht zu werden. Eigentlich ist es wunderbar und ein Geschenk, dass Siri heute so selbständig ist und ihr eigenes Leben lebt. Aber der Loslösungsprozess ist trotzdem auch schmerzhaft und wohl immer noch nicht ganz abgeschlossen.
Siri: Für mich ist die Ablösung eng an meinen Freund und heutigen Mann gekoppelt. Ich war lange «Die Tochter von». Heute bin ich Siri Anesini und ich habe mein eigenes Leben, meine eigenen Erfolge und mein Mann und ich treffen eigene Entscheidungen – für uns. Für mich ist das super, aber ich verstehe, dass das für meine Mutter nicht so einfach ist.
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Wie ähnlich sind sich eigentlich Mutter und Tochter?
Siri: Äusserlich sind wir uns sehr ähnlich. Innerlich gibt es ebenfalls viele Übereinstimmungen, aber auch grosse Unterschiede. So habe ich nebst der Emotionalität, die uns verbindet, auch eine ausgeprägte rationale und pragmatische Seite. Ich bin sehr direkt und viel aufmüpfiger als du.
Maria: Ich wurde familiär ganz anders geprägt. Ich bin eher die Angepasste, die es allen recht machen möchte. Ich mag die Rolle als Gastgeberin und verwöhne andere gern.
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Was habt ihr voneinander gelernt?
Siri: Ich habe gelernt, dass ich auch mit meiner «Spezialität» ganz normal bin. Das gab mir ein gutes Fundament für die Zukunft. Dafür bin ich sehr dankbar.
Maria: Phu, das lässt sich schwer auf ein paar Begriffe reduzieren. Ein behindertes Kind zu haben ist wie eine Lebensschule, die einem alles abverlangt, aber auch unheimlich bereichert.
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Was wünscht ihr euch für die nächsten 20 Jahre?
Maria: Das Älterwerden zu lernen und noch mehr von innen heraus zu leben – intuitiv, dem Herzen folgend.
Siri: 20 Jahre? Das ist eine sehr lange Zeit. Ich hoffe einfach, dass sich mein Leben weiterhin positiv entwickelt und mir und meinen Liebsten nichts Schlimmes zustösst.
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