Die Zuckerfalle

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Die Regale sind voll von zuckerhaltigen Produkten. Ob Brot, vegane Fleischersatzprodukte oder Fertigsaucen – überall ist der süsse Stoff enthalten. Doch was macht Zucker mit uns, und worauf sollten wir gerade bei Kindern achten, wenn es um eine zuckerarme Ernährung geht?

Ein Gipfeli zum Tagesstart, Fruchtpüree zum Znüni, Pasta mit Tomatensauce am Mittag, ein Weggli zum Zvieri … so oder so ähnlich könnte die Verpflegung eines Kleinkindes aussehen an einem durchschnittlichen Wochentag. Doch hinter all dem, was als vermeintlich unbedenklich gilt, verbergen sich Inhaltsstoffe, die den Blutzuckerspiegel rasant ansteigen lassen. Viele Weissmehlprodukte belegen dabei den obersten Rang, noch vor herkömmlichem Haushaltszucker.

Hoher Zuckerkonsum

Befasst man sich intensiver mit dem, was in Produkten enthalten ist, fällt rasch auf: In vielem, in dem wir es kaum erwarten würden, steckt Zucker. Ein Beispiel aus dem Schweizer Detailhandel: Bei kaum einem Laib Brot im Supermarktregal, das die Autorin überprüft hat, ist der Stoff in der Zutatenliste nicht aufgeführt. Dabei wissen wir schon lange, dass ein übermässiger Zuckerkonsum gesundheitliche Risiken birgt. Krankheiten wie Zahnkaries, Diabetes, Fettleibigkeit, Leber- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen können die Folge sein. Was wir auch wissen: Der Grossteil der Schweizer Bevölkerung isst mehr Zucker, als von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen. Ihr Rat: Den Konsum von Zucker auf maximal 10 Prozent der Energiezufuhr einzuschränken. Doch wir nehmen nahezu die doppelte Menge an Zucker zu uns, heisst es im Grundlagenpapier Zucker von 2019 der Westschweizer Fachhochschule (HES-SO) in Genf. Die Publikation, die vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV in Auftrag gegeben wurde, befasst sich mit unterschiedlichen strategischen Massnahmen, den Zuckerkonsum der Schweizer Bevölkerung nachhaltig zu senken.

«Während Eltern meinen, dem Nachwuchs mit Fruchtpüree einen gesunden Dienst zu erweisen, verbirgt sich darin purer Zucker, der langfristig nicht nur dem Körper zusetzt, sondern auch den Zähnen.» Ruth Ellenberger, Ernährungsexpertin

Fruchtzucker – kein sinnvoller Ersatz 

Die Basis einer gesunden und zuckerreduzierten Ernährung ist das Wissen darüber, wie Zucker deklariert wird und welcher Zucker Gefahren birgt. So ist es laut Ernährungsexpertin und Mitinhaberin vom Ernährungszentrum Ruth Ellenberger ein Trugschluss, dass Fruchtzucker unbedenklich sei. «Fructose ist ein Bestandteil von Kristallzucker und wird via Leber verstoffwechselt. Zwar steigt der Blutzuckerspiegel nicht so rasant an wie beim Konsum von Saccharose, dem Kristallzucker, doch sind die Folgen eines übermässigen Fruchtzuckerkonsums gravierend. Vor allem die schlechten Blutfettwerte sind ein grosses Problem.» Doch wie bei vielem im Leben, ist es die Menge, die den Unterschied macht. Essen wir einen Apfel oder eine Banane, fällt der Zuckergehalt kaum ins Gewicht. Ausserdem sind in der Frucht Nahrungsfasern enthalten, die eine regulierende Wirkung haben. Essen wir hingegen vermehrt Produkte, die mit Fruchtkonzentrat gesüsst werden, sieht dies anders aus. Um ein solches Konzentrat zu produzieren, werden grosse Fruchtzuckermengen benötigt; Mengen, die wir sonst nie zu uns nehmen würden.

«Deshalb sind auch sogenannte Quetschis für Babys und Kleinkinder alles andere als sinnvoll. Während Eltern meinen, dem Nachwuchs mit Fruchtpüree einen gesunden Dienst zu erweisen, verbirgt sich darin purer Zucker, der langfristig nicht nur dem Körper zusetzt, sondern auch den Zähnen», so Ellenberger.

Die Expertin rät, Kleinkinder bis zum 3. Lebensjahr nahezu zuckerfrei zu ernähren. «Es gibt keinen Grund, Zucker in den Ernährungsplan einzubauen. Es handelt sich um leere Kalorien. Die Energie, die daraus entsteht, sollte durch andere Lebensmittel zu sich genommen werden.» Nach dem 3. Lebensjahr gelte ebenfalls die 10-Prozent-Regel. Der tägliche Energiebedarf eines 4-jährigen Kindes beträgt etwa 1300 kcal. Die maximale Zuckermenge pro Tag sollte hier bei 32,5 g liegen. Zum Vergleich: Bereits in einem regulären Fruchtjoghurt können sich rund 25 g Zucker verstecken. Besser also: ungesüsste Milchprodukte und dazu frisches Obst. Auch mit explizit deklarierten Produkten für Minis wie sogenannten Babykeksen tut man seinem Nachwuchs definitiv keinen Gefallen. Das Nonplusultra der Zuckerfeinde, das sich leicht umgehen lässt, sind Süssgetränke, die sowohl bei kleinen als auch bei grossen Konsumenten für eine schnelle, unkontrollierte und antrainierte Zuckeraufnahme führen.

Antrainierter Genuss 

Ist ein Kind bereits von einem zu hohen Zuckerkonsum betroffen, sollte dieser schrittweise gesenkt werden. Ausserdem sei es wichtig, so die Expertin, die Ernährungsumstellung innerhalb der Familie bewusst vorzuleben. «Kinder benötigen Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Das gilt auch für die Ernährung.» Eltern müssen gut informiert sein, um sich der Problematik bewusst zu werden. Informationskampagnen, Angabe der Nährwerte auf den Verpackungen, leicht verständliche Symbole auf den Verpackungen oder spezifische Ernährungsprogramme können sich ebenso positiv auswirken wie Werbeeinschränkungen für die Zuckerindustrie, eine Umstellung des Snackangebots im beruflichen, institutionellen und sozialen Umfeld, die Einbindung der Lebensmittelwirtschaft und die Reformulierung gewisser Produkte durch die Industrie. Das Sensibilisieren und Schaffen neuer Rahmenbedingungen erleichtert es, den Fokus auf die Ernährung zu legen und eine nachhaltige Veränderung zu erzielen, ohne dabei auf – einen sich womöglich antrainierten – Genuss zu verzichten.

Gewöhnung ist ohnehin etwas, das relativ rasch passiert. Deshalb hält Ruth Ellenberger auch nicht viel von Zuckeralternativen wie Stevia. Der rein pflanzliche Stoff sei zwar nach heutigem Wissensstand gesundheitlich unbedenklich im Gegensatz zu Zucker, doch die Süsse, an der der Gaumen schnell Gefallen findet, sei dennoch zu schmecken. Und genau dies wolle man ja gerade bei Kindern vermeiden, sagt sie. Doch wie sieht es mit der Entwöhnung aus? Die Ernährungsexpertin geht davon aus, dass ein Erwachsener, der auf Zucker verzichten möchte, bei einem strikten Zuckerstopp rund eine Woche spürbar leidet. Heisshunger, Müdigkeit, schlechte Laune bis hin zu Kopfschmerzen können die Folge sein. Doch sie betont auch, dass sie nicht für eine zuckerfreie, sondern zuckerbewusste Ernährung einstehe.

Komplexe Zutatenlisten 

Durch eine Einschränkung des Zuckerkonsums profitiert der Körper: Das eigene Energielevel und die Darmflora (Mikrobiom) verbessern sich, Entzündungswerte im Körper werden gesenkt, Adipositas und Karies können vermieden werden. Doch dazu muss man wissen, was man zu sich nimmt. Und wer wissen will, was in einem gekauften Nahrungsmittel enthalten ist, muss Zutatenlisten und Nährwerttabellen entziffern können. Nicht immer ganz einfach, denn es gibt gerade beim Zucker ganz unterschiedliche Begriffsverwendungen für den süssen Stoff. Ein guter Anhaltspunkt ist die Wortendung -ose wie bei Saccharose, Glucose, Maltose und Fructose. Dahinter verstecken sich Süssungsmittel wie Kristallzucker, Traubenzucker, Sirup, Dicksäfte, Konzentrate oder Ähnliches. Übrigens: Wer glaubt, der Gesundheit mit Rohrzucker einen Dienst zu erweisen, irrt sich. Die Farbe kommt durch eine andere Verarbeitung zustande und hat sich als gutes Marketing erwiesen. Ob braun oder weiss: Freier Zucker bleibt schädlich.

Tipps für den Umgang mit Zucker 

  • Vermeide Süssgetränke – vor allem bei Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen. Die leeren Kalorien werden in grossen Mengen zugeführt, der Zucker bewirkt Übergewicht und schadet den Zähnen. Nein danke!

  • Greife auf frisches Obst zurück statt auf Fruchtpürees, Smoothies & Co. Sowohl Klein als auch Gross nimmt über den Konsum einer intakten Frucht viel weniger Zucker zu sich als in flüssiger oder pürierter Form.

  • Lasse dich nicht vom Slogan «mit Fruchtkonzentrat gesüsst» täuschen. Der enthaltene Fruchtzucker ist eine Falle, in die gerade Eltern gerne tappen.

  • Lebe dem Nachwuchs eine bewusste, gesunde und abwechslungsreiche Ernährung zu Hause vor und lege damit den Grundstein für eine kritische Auseinandersetzung mit Zucker auf dem Speiseplan. Das Teenageralter mit all seinen süssen Verführungen kommt schnell genug.

  • Mache dir bewusst, dass es sich gerade bei Fast Food, Fertigprodukten, Saucen, Fruchtjoghurts, Konserven und Backwaren um wahre Zuckerbomben handelt.

  • Verringere beim Backen die Zuckermenge im Rezept. Das bedarf einer gewissen Experimentierfreude, da Zucker eine physikalische Aufgabe beim Backprozess erfüllt und das Rezept angepasst werden muss. Doch häufig kann auf einen Teil der angegebenen Grammzahl verzichtet werden. Ausserdem: Vollkorn- oder Ruchmehl statt Weissmehl verwenden. Nur zu, Neues ausprobieren macht Spass!

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