Damit der Kinderwunsch Wirklichkeit wird

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Der Wunsch nach einem eigenen Kind ist bei vielen Frauen und Männern tief verankert und ein zentraler Bestandteil ihrer Lebensplanung. Doch längst nicht immer klappt es mit der Schwangerschaft auf Anhieb. Umso wichtiger ist es, rund um das Thema Kinderwunsch gut informiert zu sein.

Kinderwunsch und Schwangerschaft sind emotional aufgeladene Themen, die ein sehr breites Gefühlsspektrum umfassen und von den schönsten wie auch von den traurigsten Momenten im Leben eines Menschen erzählen. Da kann es hilfreich sein, möglichst rational an die Sache heranzugehen.

Am Anfang ist der Kinderwunsch

Schnell und stressfrei schwanger werden: Das möchte wohl jedes Paar mit Kinderwunsch. Wie das rein technisch mittels Geschlechtsverkehrs zu bewerkstelligen ist, dürfte allen klar sein. Was dabei genau geschieht, hoffentlich auch. In einem Satz: Eine Frau wird schwanger, wenn eine aus einem der Eierstöcke freigesetzte Eizelle von einem Spermium befruchtet wird und sich anschliessend in der Gebärmutter einnistet.

Das Timing muss stimmen

Bleiben wir bei den nüchternen Fakten: Eine Frau kann nur während ihrer fruchtbaren Tage schwanger werden. Diese Tatsache macht das Timing zu einem zentralen Faktor im Bemühen, schwanger zu werden. Um die fruchtbaren Tage innerhalb des Menstruationszyklus zu eruieren, können Frauen auf Methoden wie die Verwendung eines Eisprungkalenders, regelmässige Temperaturmessung und die Untersuchung des Zervikalschleims zurückgreifen. Längst gibt es zu diesem Zweck auch ein breites Angebot an Zyklus-Apps. Gutes Timing ist aber nicht der einzige Faktor, der eine Schwangerschaft begünstigen kann.

4 Tipps, um schneller schwanger zu werden

  • Gut getimter Geschlechtsverkehr

    Die fruchtbarste Phase beginnt 24 Stunden vor dem Eisprung und dauert rund 48 Stunden. Zur Bestimmung des Eisprungs hilft eine gute Zyklus-App. Wem das zu technisch ist: Mit Geschlechtsverkehr jeden zweiten Tag kann man die fruchtbaren Tage eigentlich nicht verpassen.

  • Gesunder Lebensstil

    Möglichst gesund zu leben, ist auch bei Kinderwunsch ein guter Rat. Das heisst konkret: gesunde Ernährung, viel Bewegung und möglichst kein Übergewicht. Am besten verzichtet man komplett auf Tabak, Alkohol und Drogen, denn diese Substanzen wirken sich bei Frauen und Männern negativ auf die Fruchtbarkeit aus.

  • Kein Stress

    Stress reduziert die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft. Auch wenn sich Lockerheit nicht verordnen lässt, geht es darum, im Alltag und beim Sex möglichst entspannt zu bleiben.

  • Fruchtbarkeitsfreundliches Gleitmittel

    Falls Gleitmittel verwendet wird, sollte dieses spermienfreundlich sein und den natürlichen pH-Wert der Vagina nicht stören. Solche Produkte sind als «fruchtbarkeitsfreundlich» oder «spermienfreundlich» gekennzeichnet.

Hemmende Faktoren

Nebst den Aspekten, die eine Schwangerschaft begünstigen, gibt es auch eine Vielzahl von Faktoren, die das Schwangerwerden erschweren oder gar verunmöglichen. Bei Männern beruht Unfruchtbarkeit meist darauf, dass nicht genügend funktionsfähige Spermien produziert werden. Bei Frauen können unter anderem hormonelle Störungen und Veränderungen der Eileiter oder der Gebärmutter ursächlich sein. Ein starker hemmender Faktor ist auch das Alter. Bei Frauen nimmt die Fruchtbarkeit bereits ab 25 Jahren ab, sinkt dann ab 35 Jahren markant, und bereits mit 40 kann es zu spät sein. Auch beim Mann sinkt die Fruchtbarkeit mit dem Alter tendenziell, da die Anzahl und die Qualität der Spermien in der Regel abnehmen.

Ungewollte Kinderlosigkeit

Geschätzt zehn bis 15 Prozent der Paare in der Schweiz sind ungewollt kinderlos. Von ungewollter Kinderlosigkeit spricht man, wenn sich bei einem Paar über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr trotz regelmässigen ungeschützten Geschlechtsverkehrs keine Schwangerschaft einstellt. Bei der ungewollten Kinderlosigkeit handelt es sich in den meisten Fällen nicht um eine vollständige Unfruchtbarkeit des Paares, sondern um eine Fruchtbarkeitsstörung. Die Ursachen sind vielfältig und zu gleichen Teilen bei der Frau und beim Mann zu verorten. Oft ist auch eine Kombination aus mehreren Faktoren für die Kinderlosigkeit verantwortlich.

Hoffnung dank Reproduktionsmedizin

Wenn die natürliche Empfängnis nicht möglich ist oder Schwierigkeiten auftreten, bietet die moderne Reproduktionsmedizin eine Vielzahl von Lösungen. Eine verbreitete Massnahme ist die Gabe von Hormonpräparaten, um die Eizellreifung und den Eisprung der Frau zu stimulieren. Bei der sogenannten Intrauterinen Insemination (IUI) werden Spermien mit einem dünnen Schlauch direkt in die Gebärmutter befördert. Noch einen Schritt weiter geht die In-vitro-Fertilisation (IVF), bei der die Eizellen der Frau im Labor mit Spermien des Partners zusammengebracht werden, um eine Befruchtung zu ermöglichen. Diese und weitere Behandlungen können dazu beitragen, dass Kinderwünsche doch noch in Erfüllung gehen.

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Der Kinderwunscherfüller

Als Reproduktionsmediziner und Leiter von zwei Kinderwunschpraxen unterstützt Markus Bleichenbacher Paare bei der Erfüllung ihres innigsten Wunsches. Faktor-F hat ihn zum Interview getroffen.

  • Herr Bleichenbacher, welche beiden Fragen werden Ihnen in der Kinderwunschpraxis am häufigsten gestellt?

    «Warum klappt es bei uns nicht?» und «Was können wir tun?», wobei die Paare oft schon Ideen haben, wie die Behandlung aussehen könnte.

  • Wie antworten Sie darauf?

    Auf die erste Frage gibt es keine einfache Antwort, da es viele verschiedene Gründe gibt. Als Faustregel kann man sagen, dass es zu 30 Prozent an der Frau liegt, zu 30 Prozent am Mann und zu 30 Prozent an einer Kombination von beiden. Bei rund zehn Prozent der Fälle sind keine Ursachen erkennbar.

    Bevor ich mit den Paaren auf die zweite Frage eingehe und Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin aufzeige, die ihnen entsprechen könnten, empfehle ich immer eine allgemeine Standortbestimmung. Diese beinhaltet einen Testzyklus mit Ultraschall, Hormonanalyse und Spermiogramm.

«Als Faustregel kann man sagen, dass es zu 30 Prozent an der Frau liegt, zu 30 Prozent am Mann und zu 30 Prozent an einer Kombination von beiden.»
  • Wenn Sie Paaren mit Kinderwunsch einen Tipp geben könnten: Welcher wäre das?

    Bei Kinderwunsch ab 35 nicht zu lange mit einer Abklärung zu warten, wenn es mit dem Schwangerwerden nicht klappt. Also nicht ein ganzes Jahr, sondern höchstens sechs Monate. Dies einfach deshalb, weil ab 35 jeder Monat zählt, wenn es darum geht, schwanger zu werden. Bei Kinderwunsch ab 40 empfehle ich sogar eine sofortige Abklärung.

  • Haben Sie noch so was wie einen Geheimtipp?

    Geheimtipp ist ein bisschen hoch gegriffen, denn es ist längst kein Geheimtipp mehr: Das sogenannte «social freezing». Darunter versteht man das vorsorgliche Einfrieren von Eizellen. Das ist für Frauen, die den richtigen Partner für ihren Kinderwunsch noch nicht gefunden haben, eine gute Möglichkeit, um das Altern der Eizellen zu verhindern. Idealerweise werden die Eizellen vor 35 Jahren entnommen und eingefroren.

  • Braucht es beim Ei und beim Sperma ähnlich wie bei der Partnerwahl eine gewisse Passung, oder ist da grundsätzlich alles kompatibel?

    Es gibt schon genetische Faktoren, die eine Passung von Ei und Sperma begünstigen respektive hemmen können. Aber diese Faktoren sind erstens nicht wirklich relevant und zweitens schwierig bis unmöglich zu bestimmen und abzugleichen. Wichtig ist die Qualität von Eizelle und Spermium.

  • Erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft, wenn der Mann längere Zeit keinen Samenerguss hatte?

    Nein, im Gegenteil. Besser öfter. Um die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft zu erhöhen, empfiehlt sich um den Eisprung herum eine Frequenz von einmal alle zwei Tage.

  • Wie informieren Sie Paare über die verschiedenen Behandlungsoptionen, Erfolgsraten, Risiken etc.? Ich stelle mir das anspruchsvoll vor, zumal der Wissensstand sehr unterschiedlich sein dürfte. 

    Da hilft mir meine Erfahrung. Ich versuche zuerst herauszufinden, was das Paar schon weiss. Danach ist ein persönliches, einfühlsames Gespräch meine bevorzugte Art der Informationsvermittlung. Ergänzend finden die Paare auch im Internet viele Informationen – zum Beispiel unter kinderwunschpraxis.ch –, und ich gebe auch Infoblätter ab.

«Danach ist ein persönliches, einfühlsames Gespräch meine bevorzugte Art der Informationsvermittlung.»
  • Die In-vitro-Fertilisation ist die populärste Kinderwunschbehandlung. Wie hat sich diese Behandlung in den vergangenen 40 Jahren verändert?

    Die Erfolgsraten haben sich kontinuierlich verbessert. Ein Meilenstein war dabei die Einführung der Mikroinjektion von Spermien in die Eizelle (ICSI). Diese Methode erlaubt es, auch Paare zu behandeln, bei denen der Mann sehr wenige Spermien hat. Zuvor konnte in einer solchen Situation nur mit einer Samenspende geholfen werden.

  • Sie sind ein ausgewiesener Experte im Bereich der In-vitro-Fertilisation. Welches ist der anspruchsvollste Teil einer Behandlung?

    Für mich am wichtigsten ist das Zusammenspiel der einzelnen Behandlungsteile. Die beste Stimulation nützt nichts, wenn danach unsorgfältig mit den Eizellen und Spermien umgegangen wird. Der schönste Embryo nützt nichts, wenn der Transfer nicht exakt durchgeführt wird etc.

  • Wie sieht die Aufgabenteilung aus?

    Wir Ärzte und Ärztinnen sind zuständig für die Planung, die Stimulation, die Entnahme der Eizellen und den Transfer des Embryos. Die Embryolog:innen sind verantwortlich für die Befruchtung der Eizelle und die Weiterentwicklung zum Embryo. Unterstützend kommen auch noch Anästhesist:innen, Genetiker:innen und Psycholog:innen hinzu.

  • Bei In-vitro-Fertilisation denken viele sofort an Mehrlingsschwangerschaft. Zu Recht?

    Früher waren Mehrlingsschwangerschaften tatsächlich ein «Problem». Inzwischen ist die Mehrlingsrate aber drastisch gesunken, da in aller Regel nur noch ein einziger Embryo transferiert wird. Es sind deshalb höchstens noch eineiige Zwillinge möglich. Bezüglich Mehrlingsrisiko stellen heutzutage reine Hormonbehandlungen die grössere Gefahr dar.

  • Was ist gemäss Ihren Erfahrungen für Paare die grösste Herausforderung rund um eine In-vitro-Fertilisation?

    Ich glaube nicht, dass es da eine allgemeingültige Antwort gibt. Die meisten Paare haben zu Beginn Vorbehalte gegen eine «unnatürliche» Behandlungsmethode. Manche haben Angst vor Nebenwirkungen, manche haben ethisch-moralische Bedenken, manche haben finanzielle Schwierigkeiten. Das ist wirklich sehr individuell.

  • Wie wirken Sie diesen Ängsten und Bedenken entgegen?

    Auch hier ist das persönliche Gespräch zentral. Ich versuche, das Paar als Menschen möglichst gut zu «spüren», schon bevor die Behandlung beginnt.

  • Wie sieht es mit den psychologischen Aspekten einer Kinderwunschbehandlung aus?

    Das ist nicht zu unterschätzen. Die Hoffnungen und damit auch der Druck sind bei allen gross, zumal der ganze Prozess auch mit Kosten verbunden ist. Manche Paare können gut damit umgehen und haben entsprechende Bewältigungsstrategien, andere tun sich schwer und sind dankbar für die psychologische Begleitung.

  • Wie stehen Sie zur Gesetzgebung in der Schweiz? In-vitro-Fertilisation und das Einfrieren von Eizellen sind erlaubt, Eizellenspende und Leihmutterschaft verboten, die Samenspende ist nur für verheiratete Paare erlaubt.

    Gesetzgebung ist Sache des Parlaments. Die gegebenen Rahmenbedingungen muss ich akzeptieren, versuche aber als Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, Inputs für Verbesserungen zu geben. Ich persönlich würde eine noch liberalere Gesetzgebung begrüssen. Beispielsweise die Samenspende auch für unverheiratete Paare und alleinstehende Frauen. Die Behandlungen werden ohnehin durchgeführt, einfach im Ausland.

  • Wohin geht die Reise bei der Reproduktionsmedizin? 

    Die politische Diskussion geht in der Schweiz zurzeit in Richtung vermehrter Kostenübernahme durch die Krankenkasse, und es wird über ein Gesetz diskutiert, das die Eizellenspende erlauben soll. Da insbesondere in die Diskussion und die Planung der Kostenübernahme nicht nur die Politik und das Bundesamt für Gesundheit, sondern auch die Kostenträger involviert sind, ist es derzeit nicht möglich abzuschätzen, wie lange es dauert, bis das Anliegen umgesetzt ist. Rein medizinisch gesehen, sehe ich zurzeit keine bahnbrechenden neuen Behandlungen auf uns zukommen.

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