Rabenmutter

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Elternratgeber gibt es wie Krümel unter dem Kinderstuhl. Doch sind sie wirklich hilfreich? Und entsprechen sie der Realität? Meine Erfahrung zeigt: selten bis nie. Denn Eltern sind in erster Linie Frauen und Männer (nicht immer in dieser Konstellation). Und nicht nur Mami und Papi. Deshalb habe ich dir einen etwas anderen – egoistischeren? – Elternratgeber zusammengestellt.

Der etwas andere – egoistischere – Elternratgeber

Es ist Sommer 2004, als ich mit meinem Baby vom Krankenhaus nach Hause komme. Was mir bis dahin nicht bewusst war, ist, dass die Zeit, in der ich selbst über mich und mein Leben bestimmen konnte, vorbei ist. Denn jetzt bin ich Mutter. Keine Frau mehr, kein Mensch mehr, keine selbstständig denkende Person. Denn als Mutter ist man eben nur noch das: Mutter. So hat es sich damals zumindest angefühlt. Meine Intuition, meine Bildung und mein Verstand wurden infrage gestellt. Von der Gesellschaft, der Politik, anderen Menschen und vor allem: anderen Müttern. Und natürlich den vielen (selbst ernannten) Experten.

Das Schlimmste am Eltern-Werden und Eltern-Sein war für mich nämlich die Flut an Ratgebern, die uns sagen wollen, was wir zu tun haben und was wir wohl intuitiv alles falsch machen würden. Nach 20 Jahren Mutterschaft kann ich dir eines versichern: Die Ratgeber verunsichern mehr, als dass sie helfen (bis auf wenige Ausnahmen). Ausserdem geht es darin selten um dich als Frau (oder Mann). Du bist ja nicht nur Mutter oder Vater. Müssen wir uns wirklich ausschliesslich den Bedürfnissen eines Kindes unterordnen, oder gibt es vielleicht Wege, dass beide Parteien zufrieden sind? Ich glaube, die gibt es.

So entstanden damals mein Blog und das Buch «Rabenmutter» mit Tipps für das echte Leben. Nicht wissenschaftlich belegt, aber selbst erprobt. Denn nicht jede Mutter hat das Glück, Freundinnen zu haben (wie ich sie hatte), die ihr wohlwollend zur Seite stehen, ihr wirklich nützliche Ratschläge geben und ihr vor allem versichern, dass es allen gleich geht. Und ja, jedes Kind ist anders, dennoch gibt es ein paar Dinge, die vor allem euch als Eltern das Leben vereinfachen. Denn auch wenn das Kind Priorität hat, dürfen wir uns dabei nicht selbst verlieren.

Was du also schon immer übers Elternsein wissen wolltest und nie zu fragen wagtest!

  • Vor der Geburt

    Was wurde ich mit Werbung für Baby-Gadgets zugemüllt! Von blinkendem und piependem Babyspielzeug, über Babyparfum bis hin zu Überwachungskameras. Leider bin ich auf so einiges reingefallen und habe viel Geld ausgegeben. Bis ich merkte, dass die Basics vollkommen ausreichen. Ein Bett, ein Wickeltisch und ganz wichtig: ein geruchsneutraler Windeleimer! Alles andere ist oft überflüssig und vor allem überteuert.


    Während der Geburt

    Ja, auch wir gehörten zu denen, die die Ratschläge des Geburtsvorbereitungskurses allzu ernst genommen haben. Also erstellten wir einen Geburtsplan mit passender Musik und allem Pipapo. Aber natürlich kam es anders, denn eine Geburt lässt sich nicht wirklich planen. Bleibt also möglichst offen für alles, was da kommen mag!

  • Das sind Momente, an die ich mich nur mässig gerne erinnere. Beim ersten Kind waren wir so stolz und wollten allen dieses wunderschöne Baby präsentieren. Das stellte sich als Fehler heraus. Zu penetrant boten die Grossmütter ihre Hilfe an, es kamen viel zu viele Leute an mein Bett, in dem ich ihnen völlig erschöpft und überfordert ausgeliefert war. 

    Viel lieber hätten wir die Zeit zu dritt erst einmal genossen, für uns, ohne Kommentare und gute Ratschläge. Wenn die Grosseltern und sonstige Verwandtschaft beleidigt auf diesen Wunsch reagieren: Bleibt strikt, es ist EUER Kind. Die Verwandtschaft wird noch genug Zeit haben, die Kinder masslos zu verwöhnen.

  • Stillen ja oder nein

    Stillen wurde in den letzten 20 Jahren zur Religion erhoben. Wer nicht stillt, ist eine Rabenmutter. Auch ich habe mich damals unter Druck setzen lassen, wie viele Mütter, die fürchterlich darunter gelitten haben, wenn es nicht klappen wollte. Aber weisst du, was? Auch Kinder, die Pulvermilch erhalten, werden gross und gesund. Nicht vergessen: Es ist dein Baby, und es sind deine Brüste!

    Wie lange?

    Nach fünf Monaten hatte ich genug von der Abhängigkeit zwischen meinem Sohn und mir, also habe ich abgestillt, und mein Mann konnte endlich auch mal nachts aufstehen und unser Kind ernähren. Es muss für alle stimmen, nicht nur für das Baby.

  • Der Job

    Ich hatte nach meiner Babypause die Illusion, genau da weitermachen zu können, wo ich aufgehört hatte. Wieder falsch gedacht. Überstunden lagen kaum drin, Kollegen und -innen beäugten mich skeptisch, und ich wurde regelmässig gefragt, was ich denn mit dem Baby mache, während ich arbeite. Meine Antwort «Ich lagere ihn im Gefrierfach» fanden sie nicht so lustig.
    Bespreche deshalb mit deinem Vorgesetzten, wie das Thema gehandhabt wird, es ist alles eine Frage der Organisation, wie du bald feststellen wirst.

    Teilzeit oder Vollzeit?

    Uns Müttern wird oft eingeredet, dass man nur mit einer 100-Prozent-Stelle eine vollwertige Mitarbeiterin ist. Doch gemäss diversen Studien ist genau das Gegenteil der Fall: Teilzeitler:innen sind viel effizienter als Vollzeit Arbeitende.
    Lass dich also von deinem Arbeitgeber nicht unter Druck setzen, sondern besprecht eure jeweiligen Vorstellungen. Wenn er oder sie absolut unflexibel ist, wird es als berufstätige Mutter / berufstätiger Vater sowieso schwierig, dort zu arbeiten.

    Und wer betreut das Kind?

    Auch hier haben wir anfangs einen Fehler gemacht und die Grossmütter allzu sehr mit einbezogen in die Betreuung. Damals gab es noch weniger Krippenplätze als heute, wir hatten keine Wahl. Aber wenn es irgendwie geht, sollten die Grosseltern nur in Ausnahmen hüten, sonst werdet ihr euch kaum getrauen, sie auch am Wochenende mal anzufragen, ob sie die Kinder übernehmen möchten.
    Wichtig: Sucht die Kita möglichst früh, damit ihr nicht in Zugzwang kommt.

  • Ich bin keine gute Hausfrau, weshalb es mir während meiner Babypause nie in den Sinn gekommen wäre zu putzen, während mein Baby schlief. Viel öfter machte ich dann selbst Mittagsschlaf. Oder las ein Buch. Oder binge-watchte «Friends». Ja, es sah bei uns zu Hause manchmal entsprechend aus, aber weisst du, was? Lieber eine entspannte Mutter im Chaos als eine schlecht gelaunte Hausfrau im aufgeräumten Haus.

  • «It takes a village», um Kinder grosszuziehen. In heutigen Zeiten geht das schnell vergessen, die Familie ist oft nicht vor Ort. Aber Freunde schon. Und diese sind für frischgebackene Eltern wichtig. Ohne meine Freundinnen (mit oder ohne Kinder) wäre das Muttersein nur halb so schön gewesen.

    Vernachlässige diese Beziehungen nicht! Du wirst es bereuen, denn es kommt die Phase, in der du noch so froh sein wirst, über etwas anderes als deinen Nachwuchs zu reden. Plane also regelmässig Zeit mit langjährigen Freunden ein, auch damit diese euer Kind kennenlernen.

  • Als Rabenmutter musste ich mir angewöhnen, Kritiker zu ignorieren. Das möchte ich auch dir nahelegen. Deine Familie geht andere nichts an!

  • Wir hatten das Glück, beim ersten Kind selbstständig zu sein, also flexibel. Beim zweiten Kind hingegen hatten wir die klassische Rollenteilung, Mann ausser Haus, Mama zu Hause (wenn auch berufstätig).

    50/50? Ein Wunschtraum. Erwarte nicht, dass die Aufgaben ab sofort immer zur Hälfte aufgeteilt werden können. Es wird immer Phasen geben, in denen mal der eine, mal die andere mehr tun kann. Wir haben das mit einem Wochenmeeting gelöst: als Paar bei einem Glas Wein die nächste Woche besprechen. So vermieden wir Missverständnisse und schlechte Stimmung mit gegenseitigen Vorwürfen.

Selbstverständlich gäbe es noch viel mehr Tipps für angehende und frischgebackene Eltern. Ich hoffe, dein Leben wird hiermit aber schon mal ein wenig leichter. Der allerwichtigste Tipp ist aber folgender: Nimm dein neues Leben mit Humor! So ein Baby ist sehr oft auch sehr lustig, und du wirst Seiten an dir und deinem oder deiner Partner:in entdecken, die dich mit Sicherheit zum Schmunzeln bringen. Und vergiss nicht!: «Es isch alles nur e Phase!» Alles Gute!

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