Vegan ernährt von Anfang an

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Vegane Ernährung für Kinder? Da scheiden sich die Geister. Sicher ist: Wer bereits die Kleinsten pflanzenbasiert versorgen möchte, muss sich gut informieren. Zwei, die wissen, wie es gelingt, sind Jennifer März und Britta Jordi. Ein Text über gängige Vorurteile, Augenöffner und praktische Tipps für eine (vegane) ausgewogene Ernährung.

Linseneintopf und Pasta mit Tomatensauce sind zwei der Gerichte, die bei Jennifer März und ihrer Familie regelmässig auf den Tisch kommen. Es sind die Lieblinge ihrer vierjährigen Tochter. So weit, so ungewöhnlich. Nur wenige stellen sich beim Stichwort vegane Ernährung diese beiden Klassiker vor, obwohl sie je nach Zubereitungsart vegan sind. «Überhaupt ist vieles, was die meisten von uns gern essen, vegan – wie der Schweizer Klassiker Rösti», so Jennifer März. Bereits viele Jahre vor der Geburt ihrer Tochter hatte sie tierische Lebensmittel von ihrem Speiseplan gestrichen. Als sie schwanger wurde, beschäftigte sie sich intensiver mit dem Thema, las sich ein und nahm eine auf vegane Ernährung in der Schwangerschaft und für Kinder spezialisierte Ernährungsberatung in Anspruch. Sie legt Wert auf eine ausgewogene Ernährung, besonders wenn es um ihr Kind geht. Vitamin B12 wird ebenso wie Vitamin D (Letzteres übrigens bei allen Babys und Kleinkindern) über Nahrungsergänzungsmittel zugeführt, Calcium, Zink und Eisen über die Nahrung. Ein Grund, weshalb gerade Hülsenfrüchte wie Kichererbsen, Bohnen und Linsen bei Familie März hoch im Kurs stehen.

«Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren möchten, sind in der Regel sehr gut informiert über das Thema Nährstoffe und die damit verbundenen Bedürfnisse von Kindern», weiss Britta Jordi. Die Expertin für Intensivpflege herzkranker Kinder im Kinderspital Zürich berät unter anderem Schwangere und Familien zum Thema vegane Ernährung in der Schwangerschaft, im Säuglings- und Kindesalter. Das Image von Veganer:innen habe sich stark gewandelt, so die Ernährungsberaterin. Sowohl Fachpersonal als auch die Bevölkerung seien besser informiert als noch vor ein paar Jahren.

«Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren möchten, sind in der Regel sehr gut informiert über das Thema Nährstoffe und die damit verbundenen Bedürfnisse von Kindern.» Britta Jordi

Erhöhter Nährstoffbedarf

Dennoch, Vorurteile gibt es auch heute noch – gerade, wenn es um die Ernährung der Kleinsten geht. Schliesslich haben diese einen erhöhten Nährstoffbedarf, und damit entstehen Risiken. So können durch Mängel während Schwangerschaft, Stillzeit und Kindesalter irreversible Gesundheitsstörungen auftreten wie beispielsweise Fehlgeburt, mentale Retardierung und Störung der Blutbildung, heisst es bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung. Sie, ebenfalls wie die Fachgesellschaft Pädiatrie Schweiz, empfiehlt die vegane Ernährungsweise für Schwangere, Babys und Kinder nicht. Dass es durch eine einseitige Ernährung zu gravierenden Mängeln kommen kann, wissen Jennifer März und Britta Jordi. Doch beide sind überzeugt: Das gilt auch für eine Familie mit omnivorer Ernährung. «Kaum ein Kleinkind isst hierzulande regelmässig fetten Seefisch, in dem die notwendigen Fettsäuren enthalten sind», sagt Britta Jordi.

Wichtig seien die intensive Auseinandersetzung und das geschulte Auge für das, was auf den Tisch kommt. «Eltern müssen besonders bei der Beikost-Einführung sehr aufmerksam sein. Am wichtigsten ist das Vitamin B12. Das betone ich immer wieder. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass vegane Eltern sehr stillfreundlich eingestellt sind. Klappt es nicht, gibt es eine Pre-Nahrung auf Sojabasis, die mit den notwendigen Nährstoffen angereichert ist. Nach sechs Monaten ist es für die stillenden Mütter ein Muss zuzufüttern. Der Eisenspeicher des Säuglings ist aufgebraucht. Das Baby braucht ab jetzt mehr Eisen, und die Muttermilch kann diesen Bedarf nicht mehr decken. Spezielle Rezepte lassen sich daheim nachkochen, es gibt aber auch vegane Gläschen, die sehr gut sind. Zusätzlich rate ich zum Weiterstillen.» Britta Jordi betont: «Die Studienlage ist sehr dünn, doch je kleiner das Kind, umso kritischer.»

Britta Jordi, Beraterin für vegane Ernährung

Lebensmittel mit kurzer Zutatenliste 

Während im Ausland vegane Produkte bereits mit Vitaminen und anderen Nährstoffen angereichert werden, ist das Angebot hierzulande noch relativ klein. Steigt ein Kind von Muttermilch auf Pflanzendrinks um, ist auf den Calciumgehalt des Produkts zu achten. Von Fleischersatzprodukten rät Britta Jordi eher ab. Und auch bei Jennifer März kommen diese nicht auf den Tisch. Zu viel Salz, zu viel Zucker. «Lebensmittel sollten eine kurze Zutatenliste haben», so die Expertin.

Britta Jordi selbst stellte vor fünf Jahren auf vegane Ernährung um, als ihre Teenagertochter auf eine pflanzenbasierte Ernährung umstieg. Zeitgleich absolvierte sie die Ausbildung zur veganen Ernährungsberaterin. «Ich habe mich langsam auf den veganen Weg begeben. Stück für Stück konnte ich gesundheitlich positive Veränderungen feststellen. Das konstante Völlegefühl liess nach, ebenso wie meine Gelenkschmerzen.» Um den Eltern Sicherheit zu geben, rät Britta Jordi dazu, einmal jährlich eine Blutuntersuchung beim Kinderarzt durchführen zu lassen, besonders, um Vitamin B12 zu überprüfen. «Im Grunde wäre das etwas für alle Kinder», sagt sie lachend.

Liberale Kinderärzte

Die gesteigerte Nachfrage nach Informationen und die erhöhte Präsenz in der Gesellschaft haben auch bei Kinderärzt:innen Veränderungen angestossen. Die Gesellschaft Pädiatrie Schweiz hat Handlungsanweisungen zur vegetarischen und veganen Ernährung im Säuglings- und Kleinkindesalter erarbeitet. Darin werden unter anderem Informationen zu den einzelnen Ernährungsformen gegeben, die Notwendigkeit einer Supplementierung beschrieben sowie begleitende Laborkontrollen empfohlen. 

Viele Fachpersonen stehen dem Thema wesentlich offener gegenüber als noch vor ein paar Jahren. Jennifer März hat einen Kinderarzt gefunden, der nichts dagegen hat, ein Kind vegan zu ernähren, und auch der Kindergarten, in den ihre die Vierjährige bald gehen wird, bietet ausschliesslich pflanzenbasierte Kost an. «Das haben wir erst nach der Anmeldung erfahren», erzählt sie. «Wenn unser Kind auswärts nicht vegan, sondern vegetarisch isst, ist das völlig in Ordnung für uns. Kinder möchten in einer Runde mit Altersgenossen keine Sonderbehandlung. Das verstehen wir gut.» Fleisch wäre aber dennoch ein Tabu, betont Jennifer März. Jedenfalls, solange die Entscheidung bei den Eltern liegt. «Was sie als Teenager macht, wissen wir natürlich nicht. Wir können ihr nur unsere Werte im Sinne des Tierwohls vermitteln. Der Rest wird sich zeigen.» Einschränkungen gab es für das Kleinkind bisher jedenfalls noch keine – weder gesundheitlich noch was den Genuss betrifft. «Wenn Kinder mit bestimmten Lebensmitteln aufwachsen und andere gar nicht kennen, verschmähen respektive vermissen sie auch nichts», sagt Britta Jordi. Sprich, wer sein Kleinkind bereits zu Beginn an Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und viel dunkelgrünes Gemüse gewöhnt, tut ihm einen grossen Gefallen – ob vegan oder omnivor ernährt.

Jennifer März mit Tochter, Foto: David & Kathrin Photography

Tipps

  • Pflanzliche Proteine

    Für genügend Eiweiss sorgen auf dem veganen Speiseplan beispielsweise Erbsen, Bohnen, Kichererbsen oder Linsen. Hülsenfrüchte sind wahre Proteinpakete, ebenso wie Getreide, Nüsse und Samen.

  • Omega-3-Fettsäuren

    Sie sind wichtig für das Herz-Kreislauf-System, die Nieren, die neurologische Gesundheit und viele andere körperliche Prozesse: Omega-3-Fettsäuren. Wer auf Fisch und Fischöl verzichtet, deckt den Bedarf an Omega-3-Fettsäuren über den Verzehr von Algen, Leinöl und Walnüssen.

  • Eisen

    Auch als Eisenlieferanten schneiden Hülsenfrüchte sehr gut ab. Ausserdem: Vollkorngetreide, Haferflocken, Hirse und Quinoa, Nüsse und Samen.

  • Calcium

    Ob für die Knochen, die Muskeln oder das Nervensystem: Der Körper benötigt Calcium. Zu finden ist es in dunkelgrünem Gemüse wie Grünkohl und Brokkoli, ebenso in Sesam und angereicherten Pflanzendrinks und Mineralwasser.

  • Vitamin B12

    Ein schwerer B12-Mangel führt bei Babys und Kleinkindern zu irreversiblen neurologischen Schädigungen und Entwicklungsstörungen. Eine B12-Aufnahme über pflanzliche Lebensmittel ist nicht möglich. Das Vitamin muss in Form von Nahrungsergänzungsmitteln oder angereicherten Produkten (beispielsweise Zahnpasta) zugeführt werden. Bei Säuglingen und Kleinkindern werden B12-Tropfen eingesetzt.

  • Folsäure

    In der Schwangerschaft verdoppelt sich der Folsäurebedarf von Mutter und Kind, weshalb eine optimale Versorgung mittels Nahrungsergänzungsmittel ratsam ist. Bereits drei Monate vor der Zeugung sollte die Folsäure-Prophylaxe starten und bis zur 12. Schwangerschaftswoche andauern. Nur so kann das Risiko für Spina bifida und weitere Geburtsfehler deutlich reduziert werden. Über die Nahrung können die empfohlenen 400 Mikrogramm nicht aufgenommen werden.

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